October 15, 2007

Gedanken zu Ambient

[english translation] Wenn ich auf den Punkt bringen soll, was bei der Spheric Lounge das besondere ist, habe ich immer noch Schwierigkeiten. Es scheint mir ein komplizierter Mix von Ideen und Methoden zusammenzukommen, der neue kreative Energien freisetzt. Auch hat sich der Kontext vom elektronischen musizieren durch das Internet so stark verändert, dass es lohnt mal wieder den Kopf zu heben und sich neu zu orientieren.

Ich mache seit über 20 Jahren elektronische Musik und die meiste Zeit davon wanderte meine Musik direkt vom Rechner ins Archiv. Praktisch niemand hörte sich das an - es war frustrierend - und so geht es bis heute den meissten. Erst Myspace hat ein wenig Licht in die Massen von Musikproduzenten ohne Plattenvertrag geworfen. Das aufkommende Breitbandinternet als Massenmedium um das Jahr 2000 änderte alles. Musik global zu verschenken wurde zur besten Option für diejenigen, die Feedback auf ihr musikalisches Schaffen suchten und für die Musik machen ein Spiel und kein Geschäft war. Doch um viele Menschen zu erreichen war mehr notwenig als mp3s auf einer unbekannten Webseite zu platzieren. Das ganze Drumherum wurde wichtig.

Warum Ambient?
Hätte man nicht mit jedem anderen Musikstil die gleichen Chancen auf Publikum? Ich glaube Ambient macht als erstes das ( creative commons ) Rennen und erst danach schlagen andere Musikstile (dafür umso heftiger) durch. Das liegt vor allem an zwei Eigenarten von Ambient. Die Produktionsseite: die Musik ist so verlangsamt, dass man allein durch Hörerfahrung (und die haben viele) und vor allem ohne motorische Fertigkeiten in einen Gruppenimprovisationsprozess einsteigen kann und dass mit so viel Zeit wie man braucht. Die Hörerseite: Ambient hat die Eigenart, dass es nur wenig Aufmerksamkeit beansprucht, so dass viele es als atmosphärische Untermahlung zum surfen oder lesen, manche auch zum einschlafen, schreiben oder malen verwenden. Die Anforderungen an Qualität sind also ganz andere, als die an einen Popsong. Kurz... Ambient in Gruppen zu improvisieren ist relativ einfach und die Ergebnisse erreichen schnell ein hohes Niveau. Die potentielle Hörerschaft wächst jeden Tag - allein durch die zunehmende Drift von der Audio CD zum Mp3-Player. Auch erlebt hintergründige Musik derzeit einen Boom - vor allem am Arbeitsplatz vor dem Bildschirm.

Warum Improvisation?
Freies spiel - in einem fließenden Klangkontinuum zu agieren und reagieren kann regelrecht berauschend sein. Dagegen wirkt das Erlebnis über Tage und Wochen allein vor einem Sequencer zu sitzen und seine Musik Fragment für Fragment zu konstruieren und wieder und wieder den selben Song zu hören bis man ihn nicht mehr hören kann, nicht besonders attraktiv. Dafür winkt dann Bezahlung. Musik am Rechner zu konstruieren bietet einen Idealen Rahmen um es dem Musikkonsumenten recht zu machen. Musik in der Gruppe zu improvisieren macht unmittelbar Spaß und ist für sich Selbstzweck. Wenn das Geld hinter der Musik verschwindet, verschwindet auch das einsame arbeiten am Rechner. Wenn der Spaß am musizieren in den Vordergrund rückt, wird Improvisation wieder sichtbar. Und Gruppenimprovisation ist faszinierend. Jeder ist Experte auf seinem Gebiet und hat nur begrenzte Freiheiten zu agieren. Aber durch den sich organisch, ständig wechselnden Kontext den die anderen Produzieren, wird das eigene immer wieder zu etwas neuem. Die Kontextabhängigkeit des eigenen Beitrags vervielfacht seine Bedeutung. Das bemerke ich immer wieder, wenn ich alleine Musik mache. Alleine bin ich in meiner eigenen Endlichkeit gefangen. In der Gruppe wird mein Beitrag durch das Chaos des Kontextes irgendwie unendlich… die Summe ist mehr als deren Einzelteile.

Warum spielt Geld keine Rolle?
Der Faktor Geld verbiegt diesen ganzen auf Spaß und Erleben hin ausgerichteten Prozess des musizierens. Schon kleinste Einnahmen werfen Verteilungsfragen auf. Auch deformieren sie das Verhalten, denn das steigern der Einnahmen legt Änderungen am Konzept nahe. Ein Weg, der, wenn man Ihn konsequent geht, direkt ins Musikbusiness und damit zum Verlust der spielerischen Freiheit führt. Praktisch bedeutet es die freie Szene zu verlassen und ins Musikbusiness einzusteigen. Ein Weg der in der Vergangenheit die allermeisten in den empfundenen Misserfolg getrieben hat, denn im Verteilungskampf um Aufmerksamkeit und Verkaufszahlen profitieren nur ganz wenige und der Grossteil unterliegt. Verloren statt gewonnen. In vielen Fällen stellt kommerzieller Vertrieb sogar eine Verbreitungsbarriere dar. Würde die Musik umsonst angeboten, fände sie ein Vielfaches an Hörern. Die Welt hat sich verändert. Was früher galt, gilt heute nicht mehr und in Zukunft spielt nichtkommerzieller Musikvertrieb eine ganz wesentliche Rolle. Es wird soweit kommen, dass das dirkete verkaufen von Musikdaten, nur noch in sehr kurzen Zeiträumen nach der Erstveröffentlichung Massenumsätze ermöglichen wird und dass statt dessen Musikversorgungsdienstleistungen den großteil des Umsatzes bestreiten werden. Alben verschwinden langsam, Abbos treten in den Vordergrund.
Ich bin Realist. Ich liebe Ambient und werde damit sicher nicht reich werden. Musik zu machen, macht für sich allein genommen Spaß. Und den Luxus, sich Rahmenbedingungen leisten zu können, die nicht auf finanziellen Profit, sondern auf das eigene Erleben hin optimiert sind, gebe ich nur ungern auf. Natürlich ist es schön und auch anerkennend Geld für seine Musik zu bekommen. Aber es ist auch schön davon unabhängig zu bleiben und selber in der Hand zu haben was man tut - keinen Verleger im Hintergrund zu haben der einem Dinge nahe legt um Absatzzahlen zu steigern. Natürlich ist der herrschende Leistungsdruck in einer freien Szene vollkommen analog zu dem des freien Marktes, nur etwas schwächer. Eine freie Musikszene bietet aber eine viel größere Anzahl von Nischen, Feedbackmöglichkeiten und damit Erfolgskriterien. Die Bewohner einer Szene sind fast alles Gewinner. Das Musikbusiness macht fast alle Musiker zu Verlierern. Der Markt braucht wenige populäre Bands, damit er seine Distributionsinfrastruktor optimal auslastet. Zu viele Gewinner schmälern die Rendite. Die Hierarchie kann dem Markt gar nicht steil genug sein. Ich mag es einfach nicht, dass der Markt mir aufzwingt meine Musik ausschließlich aus der Perspektive des zahlenden Konsumenten heraus zu bewerten. Ich und mein Empfinden beim musizieren sind auch Faktoren und die für mich wichtigeren und das Verdienstpotential ist bei Ambient ohnehin gering.

Legal und illegal.
Und machen wir uns doch nichts vor... da man inzwischen gut sortierte Musikbibliotheken mit hunderten von Alben in Minutenschnelle umsonst kopieren und fast umsonst speichern kann, ist der Anreiz viel Geld für ein einziges Album auszugeben drastisch gesunken. Und dieser Effekt wird mit dem Ausbau der Internet- und Speicherinfrastruktur jeden Tag stärker. Die Realität der zunehmenden Mobilität von (Musik-) Daten kann man sich nicht wegwünschen - man muss sich damit arrangieren. Erste Konsequenz davon ist ein Preisverfall und den kann auch Urheberrechtsprotektionismus nur verzögern und dämpfen, aber nicht aufhalten. Gewinner auf der Produktionsseite sind vor allem diejenigen, die Ihre Musik bisher nicht oder schlecht verkaufen konnten. Die bekommen jetzt die Chance auf Publikum, weil die gesamte Aufmerksamkeit nicht mehr von einigen wenigen absorbiert wird und sich die Distributionskanäle diversifizieren.

Im Spannungsfeld von Erleben und musikalischer Qualität.
Nichts ist schöner als richtig gute Musik zu machen, sein eigenes Spiel zu genießen, seinen Beitrag zur Musik als relevanten Bestandsteil des Ganzen wiederzuentdecken. Aber wer sich mit den „Musikarbeitern“ und deren Qualitätsniveau misst wird schnell frustriert. Es gibt hunderte von Stunden sehr guten, kommerziell vertriebenen Ambient und viele große Namen die dahinter stehen. Und immer wieder spüre ich den Druck zu diesem Niveau aufschließen zu wollen und muss mir dann immer wieder vorsummen… „hab geduld!“ Denn was wir gerade machen, eine offene, nichtkommerzielle Musikszene, entwickelt auf lange Sicht eine wesentlich höhere Eigendynamik als das heutige Musikbusiness selbst, denn viel mehr kreative Menschen werden dazu beitragen und eine unfassbare Zahl von kulturellen Nischen wird neu besetzt werden. Nischen die kommerziell niemals erschlossen werden könnten. So entwickelt sich Kultur in die Breite und differenziert sich aus. Das alte Gefälle von Produzent und Rezipient flach zunehmend ab und die Menschen entdecken ihre eigene Kreativität als Freizeitgestalter und schalten den Fernseher ab.
Aber auch Gruppenimprovisationsprozesse haben Strukturen und Regeln die man variieren kann, ohne dass der Spaß dabei drauf geht und auf dieser Ebene sind noch große Entdeckungen möglich. Neuland zum entdecken für Abenteurer und Romantiker.

Die Szene als Motor?
Doch erst eine offene Szene, mit Leistungskriterien und Bewertungsinstanzen facht die Eigendynamik so richtig an. In kurzer Zeit sich viel Aufmerksamkeit und Anerkennung durch innovatives Vorgehen zu erobern ist für viele Menschen ein starker Motivator. Die Szene bildet die Plattform und die Bühne dafür. Anerkennung von Leistung. Dabei sehe ich Leistung und Spaß nicht im Widerspruch, sondern der Leistungsanspruch stellt eine nachhaltige Entwicklung sicher und sichert damit auf Dauer den Spaß im Moment. Sind die Spielregeln erst mal gesetzt, und das Ringen darum verebbt, entsteht Transparenz und Vergleichbarkeit. Und auf Dauer führt die Konkurrenz der Ideen zu einer musikalischen Qualität, die in vielen Bereichen sogar die Qualität von kommerziell produzierter Musik übertrifft. Der Weg dahin ist das Ziel. Wie gesagt, man kann nicht verlieren. Es passiert einfach gerade.
enzo cage [ 18.10.2007 ]

1 comment:

TZTH said...

Sehr ausführlich aber auch interessant. Habs im Transmediale Posting schon geschrieben: Gefällt mir gut, wen ab und zu ein Thema etwas gründlicher und anspruchsvoller behandelt wird.